DAS GEFANGENENDILEMMAPARADOX

Eine kontextspezifische partizipative Arbeit für das Kunstprojekt „Kooperation als Gegenentwurf zu Konkurrenz“ an der Fachhochschule Campus Wien.

DER CALL

„Wir laden Künstler*innen ein, sich mit dem Thema unserer nächsten beiden Zukunftsgespräche 2018 auseinanderzusetzen: „Kooperation als Gegenentwurf zu Konkurrenz“. […] Wir suchen Werke, die diese Fragestellungen um die künstlerische Auseinandersetzung ergänzen und in einen weiteren Kontext setzen. Die Werke sind Teil einer Ausstellung in den Räumen der FH Campus Wien von Mai 2018 bis Mai 2019.“

Von den 40 eingereichten Projekten wurden 9 für die Ausstellung ausgewählt.
Das PARADOX wurde von der Fachhochschule angekauft.

ABSTRACT

Gegenstand meiner Arbeit ist die Theorie “Die Evolution der Kooperation” von R. Axelrod. Sie wird vorgestellt, ihre implizite Ikonografie sichtbar gemacht und kritisiert:
“Einzelhaft” eignet sich schlecht als Metapher für gesellschaftliche Kooperation.
Die Besucher werden eingeladen, bessere Bilder für kooperatives Verhalten zu finden.
Die künstlerische Strategie entlehnt Thema, Präsentations- und Interaktionsformen dem konkreten akademischen Kontext, in dem die Arbeit zu sehen sein wird.

WARUM KOOPERATION? DIE SOZIALDARWINISTISCHE THEORIE

Kooperation ist aus evolutionstheoretischer Sicht seit Darwin ein Problem:
sie kommt in der Natur zwar vor, im Kontext des “survival of the fittest” ist sie jedoch schwer zu erklären: Warum warnt das Seidenäffchen durch seinen Schrei auch Nichtverwandte vor dem herannahenden Fressfeind und bringt sich so selbst in Gefahr? Warum verzichtet ein Individuum auf einen unmittelbaren Vorteil und verhält sich für den anderen nützlich?

1981 veröffentlichte R. Axelrod zusammen mit W.D. Hamilton das Paper “The Evolution of Cooperation”. Es liefert die bis heute massgebliche Theorie, wie sich kooperatives Verhalten – zwischen beliebigen Organismen, auch zwischen Menschen – unter gewissen Bedingungen entwickeln und behaupten kann. Im Zentrum der Arbeit steht “The Prisoner’s Dilemma”, ein Modell aus der Spieltheorie.
“Das Gefangennedilemma modelliert die Situation zweier Gefangener, die beschuldigt werden, gemeinsam ein Verbrechen begangen zu haben. Die beiden Gefangenen werden einzeln verhört und können nicht miteinander kommunizieren. Leugnen beide das Verbrechen, erhalten beide eine niedrige Strafe, da ihnen nur eine weniger streng bestrafte Tat nachgewiesen werden kann. Gestehen beide, erhalten beide dafür eine hohe Strafe, wegen ihres Geständnisses aber nicht die Höchststrafe. Gesteht jedoch nur einer der beiden Gefangenen, geht dieser als Kronzeuge straffrei aus, während der andere als überführter, aber nicht geständiger Täter die Höchststrafe bekommt.
das dilemma

Das Dilemma besteht nun darin, dass sich jeder Gefangene entscheiden muss, entweder zu leugnen (also mit dem anderen Gefangenen zu kooperieren) oder zu gestehen (also den anderen zu verraten), ohne die Entscheidung des anderen Gefangenen zu kennen.” (Wikipedia)
Wenn das “Spiel” nur einmal gespielt wird, ist es für die Gefangen in jedem Fall vorteilhaft, den anderen zu verraten. Anders verhält es sich bei mehrmaligen Spielen: “Axelrod veranstaltete ein Computerturnier, in dem er Computerprogramme mit verschiedenen Strategien gegeneinander antreten ließ. Die insgesamt erfolgreichste Strategie, und gleichzeitig eine der einfachsten, war die sogenannte Tit-for-Tat-Strategie (“Wie du mir so ich dir”): Sie kooperiert im ersten Schritt und den folgenden und „verzichtet auf den Verrat“ (das macht sie zu einer sogenannt “freundlichen” Strategie), solange der andere ebenfalls kooperiert. Versucht der andere, sich einen Vorteil zu verschaffen („Verrat“), tut sie dies beim nächsten Mal ebenfalls (sie lässt sich nicht ausbeuten), kooperiert aber sofort wieder, wenn der andere kooperiert (sie ist nicht nachtragend).
Andere Wissenschafter wurden eingeladen, erfolgreichere Strategien einzureichen. Axelrod liess sie in einer evolutionsdynamischen Spielanlage über mehrere Generationen gegeneinader antraten: Sind alle Strategien in mehreren Runden gegeneinander und gegen sich selbst angetreten, werden die erzielten Resultate für jede Strategie zusammengezählt. Für einen nächsten Durchgang ersetzen die erfolgreichen Strategien die weniger erfolgreichen. Die erfolgreichste Strategie ist in der nächsten Generation am häufigsten vertreten. Auch bei dieser Spielanlage setzte sich Tit-for-Tat durch.” (Wikipedia)

DAS PARADOX

“The Evolution of Cooperation” gelingt es, etwas sehr Positives zu zeigen:
Kooperation lohnt sich. Paradoxerweise basiert der empirische Beweis auf einem völlig dystopischen Gesellschaftsbild: Häftlinge in Einzelzellen kooperieren um sich der verdienten Strafe zu entziehen.

 

STRUKTUR / ERSCHEINUNGSBILD

DAS GEFANGENENDILEMMAPARADOX ist eine 4-teilige Wandarbeit:

  1. AKADEMISCHES POSTER – die Theorie
    Axelrods Theorie wird in Form eines akademischen Posters vorgestellt. Generischer Look, das Layout macht Anleihen beim Corporate Design der FH Campus Wien.
  2. BILDTAFELN – die Gefangenen
    Auf 9 grossen Bildtafeln sind Fotos von Menschen in Einzelhaft zu sehen.
    In akademischen Papers wird der Spielverlauf normalerweise mit abstrahierten Icons dargestellt, hinter denen die eigentliche Ikonografie verschwindet.
    Um diese – in Isolation gehaltene Häftlinge – sichtbar zu machen, wird das Spiel beim Wort genommen und fotorealistisch dargestellt.
  3. BLOCK – die Aufgabenstellung
    Von einem an der Wand befestigten A4-Block können Blätter mit der Aufgabe
    abgerissen werden: Der Betrachter wird aufgefordert, Alternativen zum
    Gefangenendilemma und bessere eigene Bilder von Kooperation zu finden.
    Die Lösungen werden auf dem gleichen Blatt notiert, wahlweise als Text oder als Bild, spontan oder nach ein paar Tagen, mit oder ohne Namensnennung. Die besten Bilder werden veröffentlicht, das Beste gewinnt einen Preis.
  4. PINBOARD – die Lösungen
    Die Blätter mit den Lösungen werden von den kooperierenden Betrachtern auf ein Pinboard befestigt, wo sie Teil des Werks werden.
    Teile 1, 2 und 3 werden als Laserprint ausgeführt.

 

KÜNSTLERISCHE STRATEGIEN

Der Ausstellungskontext bestimmt die wesentlichen Elemente des Werks: Thema, Präsentations- und Interaktionsform werden auf das akademische Umfeld abgestimmt, die Zielgruppe wird in ihrer eigenen Sprache ange­sprochen.
Durch die Entwicklung einer radikalen Assimilationsstrategie wird die Kontextspezifizität auf die Spitze getrieben.

  • THEMA
    Das Thema Kooperation wird aus wissenschaftlicher Perspektive beleuchtet, eine der massgeblichen Theorien wird mit akademischen Präsentationstechniken vorgestellt.
  • PRÄSENTATION
    Die Theorie wird in der Form eines akademischen Posters präsentiert.
    Schrift und Layout nähern sich mimetisch dem Corporate Design der FH Campus Wien an. Ihr wird zudem Präsentationshardware entlehnt: Bilderrahmen und Pinboard.
    Dominiert wird die Arbeit durch das Bild, das Axelrods Evolutionstheorie zugrundeliegt. Die plakative Darstellung soll kognitive Dissonanz und Neugier schaffen: Was haben Gefangene in Einzelhaft hier zu suchen – im Gang einer FH und im Zusammenhang mit Kooperation?
  • INTERAKTION
    Die BetrachterInnen werden eingeladen, durch vertrautes Verhalten mit dem Werk zu interagieren: Eine Aufgabe wird gestellt, ein Paper soll eingereicht werden.

Die lange Ausstellungsdauer führt dazu, dass der durchschnittliche Betrachter mehrmals durch die Gänge geht und die Werke wahrnehmen kann.
Diesem Umstand wird Rechnung getragen durch die Komplexität der Arbeit, die Möglichkeit zu partizipieren und schliesslich durch die allmähliche Veränderung des Werks: Die Akkumulierung der eingereichten Beiträge schafft Anreize zur erneuten Beschäftigung.

Eine Frage zum Schluss: Wenn die Kunst die Sprache eines kunstfernen Kontextes spricht – ist das noch Kunst?

Konzept / Projektbeschrieb (PDF)