ANDREAS WEBER
DRUCK
von Guy Markowitsch

Andreas Weber zeigt in seiner Ausstellung DRUCK in der Galerie Kriens erstmals sein druckgrafisches Werk in einem Überblick. Andreas Weber ist bisher vor allem als konzeptioneller Künstler aufgefallen, u. a. mit einer theatralischen Intervention auf die reaktionären Anfänge der Kunstgesellschaft oder mit einem Chor ausgestorbener Tiere, die für den sterbenden Luzerner Löwen singen. Andreas Weber hat aber seit seinen künstlerischen Anfängen leidenschaftlich gedruckt und hat nie damit aufgehört; heute schätzt er neben seinem konzeptionellen Werk die Direktheit des Mediums. Der Ausstellungstitel DRUCK ist aber nicht nur im technischen Sinn zu verstehen, sondern spielt auch auf ein persönliches, bedrängendes Lebensgefühl an, das zu Beginn der eigenen Kunstproduktion prägend war.

Hier im vorderen Raum zeigt Andreas Weber eine Übersicht früher Tiefdruck-Arbeiten, die er in ornamentaler Verdichtung als Petersburger Hängung präsentiert. In der überwältigenden Fülle fallen geometrische Formen wie Linien, Kreise und Kreuze auf, deren formale Strenge durch den zeichnerischen Gestus der Kaltnadel gebrochen wird: Die stachlige Textur erweckt religiöse Assoziationen wie die Dornenkrone, lässt einen zugleich aber auch an haarige Oberflächen denken. Diese inhaltliche Offenheit trifft für alle Drucke dieses architektursprengenden Clusters zu. Als formales Prinzip fällt die quiltartige Zusammenfügung einzelner, kleinen Drucke auf, die durch den Rapport der Kreislinien ein einheitliches Pattern bilden: Die vielen Reproduktionen werden auf diese Weise als Teile einer grösseren Einheit zu einem Ganzen vereint. In Hinblick auf Andreas Webers spätere Arbeiten lässt sich bereits in diesen frühen künstlerischen Ausdrucksformen ein Hang zur Inhaltlichkeit erkennen, ein konzeptionelles Streben, das die materielle, unmittelbare Direktheit des Mediums übersteigt – ein mentaler Druck sozusagen.

Diese konzeptionelle Tendenz zeigt sich deutlich in der Installation TRY AGAIN, die sich in der schmalen Passage zwischen dem vorderen und dem hinteren Raum befindet. Der Boden wird von einem Teppich zerrissener Monotypien bedeckt, die auf ganz verschiedene Bildträger gedruckt wurden. Auf den Drucken ist – oft kaum lesbar – ein Zitat von Samuel Beckett in Schablonenschrift wiedergegeben:
«Try again. Fail again. Fail better.» (Versuche es nochmals. Scheitere wieder. Scheitere besser.) Die zerrissenen Grafiken sind Relikte einer Videoperformance, die auf dem grossen Monitor zu sehen ist: Eine Frau zeigt eine Monotypie in die Kamera, zerreisst sie und lässt sie zu Boden fallen. Dieses Prozedere wird im 3-Sekundentakt mit immer wieder
neuen Werken wiederholt. Die demonstrative Zerstörung generiert immer wieder neue Druckversuche, die jedoch dasselbe Schicksal erleiden. Andreas Weber greift Becketts «Try Again»-Zitat als druckgrafische Handlungsanweisung auf und setzt sie gewissermassen «wörtlich» um. Die philosophische Arbeit thematisiert die tragischkomische Seite des menschlichen Daseins, dass wir offensichtlich dazu verurteilt sind, repetitiv zu scheitern.
Wenn der weise Laotse gesagt haben soll, dass Scheitern die Grundlage des Erfolgs sei, möchten wir mit Beckett präzisieren: Misserfolge sind die Grundlage des besseren Scheiterns.

Im hinteren Raum befinden sich die drei Arbeiten GROSSE ROLLE, MARE NOSTRUM und FOOTPRINT: Bei der GROSSEN ROLLE handelt es sich um eine riesige, sechs Meter lange Schriftrolle, die übereck, entlang zweier Wände hängt. Andreas Weber hat diese gigantische Kaltnadelradierung mit einer als Druckstock verwendeten Kupfer-Blechrolle angefertigt, die als installatives Element in eingerolltem Zustand daneben steht. Der Druck ist mit
sich überlagerndem, spiegelverkehrtem und daher nicht mehr lesbarem Text beschriftet, der sich stellenweise verdichtet und nach rechts zunehmend auflöst. Die malerische Textur erinnert an die Nebelschwaden mancher chinesischer Tuschmalerei. Die eingeritzten Texte selbst gehen auf einen kathartischen, psychohygienischen Schreibakt zurück, in dem sich der Künstler alte, tagebuchartige Aufzeichnungen aus einer Zeit der Krise gewissermassen endgültig von der Seele schreiben wollte. Dieser skripturale Heilungsprozess bedingt grössten körperlichen Einsatz: wochenlanges Einritzen der Schriftzeichen mit wunden Fingern, ausgesetzt der sengenden Hitze unter dem Scheunendach – die Befreiung will Buchstabe für Buchstabe hart erarbeitet sein.

Der monumentale Linoldruck MARE NOSTRUM zeigt eine modifizierte Karte des Mittelmeers, bei der die Distanz zwischen den Küstenlinien Europas und Afrikas stark vergrössert wurde. Die monochrom wirkende Meeresfläche wird durch aneinander liegende blaugraue, schwarze sowie weisse Wellenlinien des Papiers gebildet; dieser wellige Raster zeichnet als Negativform die mediterranen Küstenlinien der wie ein weisses Blatt unbeschriebenen Kontinente im Norden und im Süden. Was spielt sich auf dieser maritimen Wasserfläche ab, auf «Unserem Meer» (Mare Nostrum), wie die Römer das Mittelmeer exklusiv nannten? Die geographisch angelegte Arbeit ruft die täglichen Flüchtlingsdramen im Mittelmeer in Erinnerung, die in den Medien und entsprechend auch in unserem Bewusstsein von anderen politischen Katastrophen fast vollständig verdrängt wurden. Wie stark vermag uns ein Bericht über ein zurückgewiesenes und versunkenes Flüchtlingsboot noch zu erschüttern? Und überhaupt: Gehören diese Menschen in «unserem Meer» mit ihrem ganz anderen kulturellen Hintergrund wirklich «zu uns»?

Auch der benachbarte Linoldruck FOOTPRINT erinnert an einen Kartenausschnitt im Überformat: Hier gruppieren sich eine längliche, angeschnittene Hauptinsel mit ihren kleinen, runden Nebeninseln zu einer archipelartigen Formation. Die fein geschnittenen Linoldruck- Linien erscheinen auf der bedruckten Graphitfolie wie Höhenkurven einer topografischen Karte. Die Form der Inselgruppe zeigt Andreas Webers stark vergrösserten Fussabdruck, der natürlich zugleich seinen ökologischen «Footprint» darstellt. So wie die kleinen Rückenfiguren in Caspar David Friedrichs Landschaftsgemälden dazu dienen, uns mit ihnen zu identifizieren, so steht der Fussabdruck des Künstlers auch für unseren individuellen Lifestyle und seine ökologische Beanspruchung des Planeten Erde: Als Betrachter:innen haben wir nicht das ökopolitische Privileg, uns aus der Verantwortung zu ziehen.

Um mit Beckett zu schliessen: Ich gratuliere Andreas Weber herzlich zu seinem höchst gelungenen Scheitern und wünsche allen einen druckfreien Vernissage-Abend!

Guy Markowitsch, Rede an der Vernissage vom 10.6.2022

Michael Sutter «Des Druckers Innerstes», Kulturmagazin 041, Juli/August 2022
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Dank

Stephan Wittmer für Einladung, Fundraising, vertrauensvolle Begleitung.
Dem Stiftungsrat und dem Team der Galerie Kriens für all die ehrenamtliche Arbeit, die diesen tollen Ausstellungsraum erst möglich macht.
Guy Markowitsch – für den eleganten Text. Es ist immer eine Freude, wenn jemand Aspekte sieht und benennt, die einem selbst noch nicht bewusst waren.
Michael Sutter – für die grosse, prägende Hilfe bei der Hängung des vorderen Raumes und den schönen Artikel im Kulturmagazin 041.
Hans U. Alder für die Fotos.
Andrew Fraser für die unermüdliche Mitarbeit beim Drucken, beim Transport und beim Aufbau.
Eva Baumberger, Graziella Berger und Christoph Stehlin für die Mitarbeit bei Auf- und Abbau.
Isabella und Hans Stricker für das Beschaffen von Adressen und dem Versand der Einladungen.
Der Kulturförderung des Kanton Schwyz für die Unterstützung dieser Ausstellung.
Ein besonderer Dank an meine Partnerin Silvana Savini für all die Unterstützung in all den Jahren.