DIE KATHEDRALE DES NICHTS
Andreas Weber – Henri Spaeti
8. Sep – 10. Okt 2024
Kunstraum Hochdorf
Die beiden Künstler bespielen den leicht abgedunkelten Raum mit einer gemeinsamen Inszenierung von Wandmalerei, Objekt, Sound und Projektion.
An der Finissage unterzieht die Basler Künstlerin Andrea Saemann die Ausstellung einer performativen Lesung.
In seiner 3-teiligen Arbeit ZUM VERGESSEN spürt Andreas Weber dem allmählichen Abhandenkommen nach. Mit Zeichnung, Klang und Animation erprobt er das Spannungsfeld zwischen Form und Entgrenzung, Entgleiten und Einswerden, Linearität und Wiederkehr.
Henri Spaeti reagiert darauf mit der Wandmalerei MEMORIA. Das Verbleichen der Farbe und Abblättern von Farbschichten legt ältere Malspuren frei und manifestiert so verlorene und vergehende Erinnerungen im Dämmerlicht des fast sakral anmutenden Kunstraums. Die Stille wird manchmal jäh durch das Geräusch von zerberstendem Glas durchbrochen, was die an die Wände projizierten Klangzeichnungen wie seismische Instrumente erzittern und ausschlagen lässt.
Abwesenheit wird auch mit den sechs Wandobjekten an der langen Hauptwand thematisiert: PENSIERI PERDUTI die an verwitternde und abbröckelnde Wandsockel erinnern, allerdings fehlen die zugehörigen Büsten und Figuren, die Wandkonsolen sind ihrer Funktion enthoben und bleiben stumme Zeugen verlorener
Zeiten.
Die Installation PESO DELLA VITA / BROKEN GLASS hält auch im übertragenen Sinn ZEIT fest. Ein schwarzes Pendel hängt still und stumm an der hohen Decke des Ausstellungsraums. Der schwere Betonblock diente in einer früheren Installation Spaetis als Fundament einer freistehenden Aussenskulptur, wobei der Beton direkt in einen in die Erde gegrabenen Kubus gegossen wurde. Für die aktuelle Ausstellung wurde er zum Pendel und so stark zum Schwingen gebracht, bis er die an die Wand gelehnten Glasscheiben zerrümmerte, um dann in einer schier endlosen Bewegung auszuschwingen und schliesslich den definitiven Zustand des STILLSTANDS zu erreichen.
Die Aktion wird in drei Teilen präsentiert: Das ruhende Pendel als Objekt, das Video von Andreas Weber, das den Moment des Aufpralls tonlos in Zeitlupe zeigt und schliesslich das Geräusch der zerberstenden Glasscheiben, das in zufälligen Abständen den Raum durchdringt und die Gesamtinstallation integriert.
Die Konzeptzeichnung KATHEDRALE DES NICHTS ist hoch oben in das halbtransparent abgedeckte Fries der Glasfenster integriert. Die mit Kohle und Kreide ausgeführte Zeichnung zeigt eine durch Rasterlinien zerteilte Grundform mit den handschriftlichen Wörtern la vita, flower, red, money, la mort etc.. Sie kann als individuelles Lebensgeflecht gelesen werden und wird je nach Sonnenstand zu einer diffusen Lichtquelle.
Als Reaktion auf den von Henri Spaeti geprägten Ausstellungstitel Kathedrale des NICHTS greift Andreas Weber zwei alttestamentarische Geschichten und ein Element sakraler Architektur auf.
ZUM VERGESSEN umfasst 3 Projektionen von animierten Zeichnungen, die eine Bildsprache für den Verlust des Gedächtnisses erproben:
In MENETEKEL zeichnet eine unsichtbare Hand endlos Linien an die Wand, ohne bleibende Spuren zu hinterlassen. Bei genauerem Hinsehen erkennt man Buchstaben, die sich auflösen, noch bevor sie zu Ende gezeichnet sind. Nur wer ein funktionierendes Gedächtnis hat, kann die Buchstaben zu einem Text zusammenfügen: «mene mene tekel upharsin» – das Vorzeichen drohenden Unheils, das Gottes Hand an den Palast des Königs von Babylon zeichnete. Der Prophet Daniel konnte die Zeichen entziffern und dem erschreckten König deuten – gerettet hat ihn das allerdings nicht, der Gottvergessene wurde noch in der gleichen Nacht getötet und sein Reich aufgeteilt.
Hochdorf hat eine prächtige spätbarocke Kirche, an deren Seitenwänden ornamentale Stuckrahmen die Szenen der Passionsgeschichte fassen.
Die Arbeit RAHMEN zeichnet 3 dieser reich verzierten Rahmen digital nach und unterwirft sie über die Zeit einer Transformation, bei der die Details immer mehr verloren gehen. Mag die Vereinfachung am Anfang wie einen Wiederannäherung an die bei der Geburt vergessene platonische Idee erscheinen, ist die Reduktion schliesslich so radikal, dass die Gestalt nicht mehr erkennbar ist.
Weber erinnert sich: «Unsere Mutter hatte uns Kindern zahlreiche Blumen gezeigt und die Namen gelehrt – Männertreu, Schafgarbe, Kornblume, Wicke. Im hohen Alter war dann alles nur noch «Blume», später nur noch «Dings, äh, sag mir doch…» und schliesslich waren da gar keine Worte mehr.»
KAIN UND ABEL, die Söhne von Eva und Adam stehen für den ersten fatalen Bruderzwist. Die animierten Bewegungssequenzen von kämpfenden Männern greifen auf die Arbeiten von Eadweard Muybridge zurück, den Pionier der fotografischen Bewegungsstudien und der Filmprojektion. Dazwischen sind stilisierte Nachzeichnungen klassischer Darstellungen des Kain und Abel Motivs von Dürer, Rembrandt, Tizian und anderen zu sehen.
Während in der Arbeit RAHMEN das Vergessen als Verlust von (Bild-)Information im Verlauf der Zeit dargestellt wird, wird in KAIN UND ABEL der gleiche Prozess durch Nebeneinanderreihung synchron visualisiert.
Alle 3 Arbeiten sind Klangzeichnungen, ein Medium, das Weber 2010 erstmals konzipierte und seit ein paar Jahren intensiv weiterentwickelt. Die Zeichnungen reagieren auf die Tonspur aus den Lautsprechern und die Geräusche der Personen im Raum.

Performance von Andrea Saemann an der Finissage